Sinnvolle Grenzen für Untersuchungen und Behandlungen

    • Welche weiteren oder erneuten Untersuchungen sind hier sinnvoll?
    • Wie erkenne ich, was mein Tier nur unnötig belasten würde?
    • Wie lange soll man weiter behandeln oder neue Versuche unternehmen?
    • Wann soll das Tier nur noch palliativ behandelt werden?
    • Was sind die Kriterien, dass ein Meerschweinchen besser erlöst werden sollte?

    Solche Fragen und ähnliche Fragen sind bei einem schwer erkannten Tier, gerade wenn sich die Krankheitsphase lange hinzieht, immer wieder wichtig. Zu leicht können wir entweder einfach weitermachen wie bisher oder immer neue Ansätze ausprobieren und das kranke Schweinchen damit unnötig belasten oder quälen. Oder wir erkennen einen guten Behandlungsweg nicht, weil wir eine sinnvolle Untersuchung nicht machen lassen.

    Wir haben heute Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten für Meerschweinchen, die vor einigen Jahrzehnten unerreichbar waren. Und viele von uns hier sind bereit, sehr viel Zeit und Geld einzusetzen für ein krankes Meerschweinchen. Deshalb müssen wir möglichst lernen zu unterscheiden, was zum Wohl des Tieres sinnvoll ist und was nicht - und auch, was wir selbst leisten können und was nicht.

    Dieses Thema ist bewusst breit gefasst, weil das eine sich oft nicht vom anderen trennen lässt. Letztlich werden wir hoffentlich einen zusammenfassenden Artikel aus den wichtigsten Aspekten erstellen können und dann für Details auf dieses Thema verlinken.

    Wir werden sicherlich nicht zu einer ganz einheitlichen Antwort kommen, aber der Austausch kann uns und anderen helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich will später auch noch meinen aktuellen Stand schreiben, aber erst einmal lade ich Euch ein, zu einem oder mehreren Aspekten hier zu schreiben.

  • Da es hier bisher sehr ruhig ist, werde ich doch mal den Anfang machen:

    Das Meerschweinchen will leben, es kämpft noch

    Oft liest man etwas im Sinne von: Solange mein Meerschweinchen noch kämpft, kämpfe ich mit ihm.

    Ich vermute, dass dieses Argument falsch ist. Tiere kämpfen um ihr Leben, auch wenn es schon ein elendes oder aussichtlichloses Stadium angenommen hat. Dafür gibt es in der Natur Beutegreifer, die hoffentlich frühzeitig das kranke Tier erwischen. Das ist zwar kein schönes Ende, aber besser als tage- oder wochenlanges sinnloses Leiden.

    Damit will ich sagen: Da die natürlichen Mechanismen bei unseren behüteten Haustieren fehlen, müssen wir ggf. eingreifen, ehe das Tier so offensichtlich am Ende ist, wie wir es vielleicht erwarten würden als Signal.

    Wir als Menschen können eher - hoffentlich richtig - abschätzen, wie die Chancen für das Tier auf ein wieder lebenswertes Leben stehen. Und das sollte m.E. einer der wichtigsten Maßstäbe sein, wie lange wir weitermachen.

    Was ist zumutbar für ein Tier?

    Ich habe schon einige erstaundliche Berichte von Menschen gelesen, die unter sehr schlimmen Umständen und mit großen Leid trotzdem weiterleben wollten. Aber das sollten wir m.E. nicht einfach auf Tiere übertragen.

    Ein Mensch leidet z.B. sehr unter Chemotherapie. Aber er kann verstehen, dass das nur zeitlich befristet ist und warum ihm jetzt so elend ist. Ein Tier kann das nicht.

    Das gleich gilt für schmerzhaft oder beängstigende Untersuchungen. Das Verstehen hilft auch da. Und ein Mensch kann darüber sprechen, seine Nöte äußern und gezielte Hilfe erhalten. Ein Tier kann das kaum oder gar nicht.

    Was wir nicht schlimm finden, kann für ein Tier schrecklich sein.

  • Ich hatte mal ein Schweinchen namens Cappuccino. Als sie ca. 5 Jahre alt war, wurde ein Tumor an der Gebärmutter festgestellt.

    Da sie sonst noch fit, stark und agil war, hatten wir beschlossen, die ganze Gebärmutter samt Tumor zu entfernen.

    Leider hatte sich bei der Operation dann herausgestellt, dass der Tumor nicht nur an der Gebärmutter saß, sondern auch bereits an den umliegenden Organen klebte, vor allem am Darm.

    Ich musste dann am Telefon entscheiden, ob Cini noch am OP-Tisch eingeschläftert werden soll, oder ob die Tierärztin den Tumor so weit es geht entfernen und das Schwein wieder zusammenflicken soll, in der Hoffnung, dass der Tumor nicht schnell wuchern wird und Cappuccino noch ein paar schöne Monate oder gar Jahre haben kann.


    Ich hatte mich für Letztes entschieden.

    "Sie will noch leben!"

    "Sie ist ja noch so lebensfroh! "

    Das waren meine Gedanken.


    Die folgenden 4 Monate waren, gelinde gesagt, ein Albtraum.

    Jeden Tag 3 Mal Verband wechseln, dazu musste ich sie auf den Rücken legen, Eiter entfernen, reinigen etc, zweimal hatte sich die Wunde infiziert, musste ingesamt 3 mal neu genäht werden, der Heilungsprozess hat ewig gedauert...

    "Cini ist so tapfer" dachte ich mir.

    Bereits nach einer Woche hatte sie die Prozedur anstandslos über sich ergehen lassen, ohne Zappeln und ohne Ziepen.

    "Sie hat bestimmt erkannt, dass ich ihr nur helfen will, sie hat verstanden, dass es ihr bald besser geht wenn sie mich das machen lässt."

    So hab ich es mir zumindest schöngeredet. Wahrscheinlich als eine Art Selbstschutz, um mich nicht dafür zu hassen was ich ihr eigentlich antue...


    Nach 4 Monaten war die Wunde endlich heil und Cappuccino hat danach tatsächlich noch fast 1 ganzes Jahr lang ohne Probleme gelebt, bevor der Tumor erneut angefangen hat zu wuchern.

    Eine zweite OP kam für mich dann aber nicht mehr in Frage und wir haben sie eingeschläftert bevor es hässlich werden konnte.

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    Was ist die Moral von der Geschichte?


    War es wirklich richtig, ihr diese langwierige Tortur zuzumuten? Ihr die Schmerzen aufzubürden?

    Wahrscheinlich nicht.


    Bereue ich meine damalige Entscheidung jetzt im Nachhinein?

    Ehrlich gesagt nein, denn sie hatte ja dadurch noch ein ganzes Lebensjahr gewonnen, auch wenn dieser Gedanke egoistisch sein mag.


    Würde ich mich in einer vergleichbaren Situation noch einmal so entscheiden?

    Nein. Auf keinen Fall.

    Zumindest denke ich das jetzt, in einer neutralen Ausgangslage.

    Sollte es tatsächlich nochmal so kommen, wer kann schon wissen wie ich dann tatsächlich reagiere, wenn die Emotionen hochkochen und ich geblendet bin von Trauer und Verzweiflung...


    Ich weiß nur, dass ich damals in der Situation immer der festen Überzeugung war, richtig und zum Wohle des Tieres zu handeln.

    Ob das genügt, um sich nach einer eventuellen Fehlentscheidung nicht schuldig fühlen zu müssen, sei dahingestellt.

  • Danke finsterweiss für Dein sehr bewegendes Beispiel. Da haben Cappuccino und Du ja eine sehr schwere Zeit erlebt.

    Bei unserem Miro dauerte die erste Krankheitsphase fast 7 Monate - wobei es bei weitem überwiegend nicht so heftig war wie bei Euch. Danach hatte er rund 9 Monate wieder ein schönes Leben. Diese Erfahrung hatte mich auch motiviert beim zweiten Mal immer weiter zu hoffen und kämpfen. Aber war es beim ersten Mal überhaupt richtig und erst recht beim zweiten Mal?

    Du sprichst auch einen sehr wichtigen Punkt an: Selbst wenn wir jetzt - ohne konkrete Situation - den Entschluss fassen sollten, früher ein Ende zu machen oder bestimmte Behandlungen usw. nicht machen zu lassen, würden wir es dann im nächsten Ernstfall durchziehen? Und es ist ja auch nicht vorab klar, wie die Chancen stehen.

    Trotzdem meine ich, je mehr wir uns in einer ruhigen Zeit mit diesen Themen auseinandersetzen, desto eher können wir dann die richtigen Entscheidungen treffen. Und das kann nicht nur für unsere eigenen Tiere wichtig sein. Wir beraten einander hier im Forum ja auch. Und auch wenn jeder natürlich selbst entscheiden muss, finde ich guten, durchdachte Rat, sehr wichtig in solchen Situationen.

  • Du sprichst auch einen sehr wichtigen Punkt an: Selbst wenn wir jetzt - ohne konkrete Situation - den Entschluss fassen sollten, früher ein Ende zu machen oder bestimmte Behandlungen usw. nicht machen zu lassen, würden wir es dann im nächsten Ernstfall durchziehen? Und es ist ja auch nicht vorab klar, wie die Chancen stehen.

    Ja, genau....
    Wie bei allen Dingen im Leben ist es leicht über eine Situation zu urteilen, die gerade nicht präsent ist. Da ist man klar im Kopf, denkt rational, betrachtet die Dinge mit nüchternem Gemüt.
    Es ist halt einfach menschlich, dass man sich dann in der tatsächlichen Situation doch eher von seinen Gefühlen leiten lässt, und plötzlich sind all diesen rationalen Überlegungen wie weggeblasen.

    Aber ich glaube auch, dass hier der persönliche Erfahrungswert eine große Rolle spielt.
    Umso öfter man bereits selbst eine solche Entscheidung treffen musste, und die darauf Folgenden Konsequenzen erlebt hat - egal ob positiv oder negativ - umso eher sind wir vermutlich dazu in der Lage, mit solchen Situationen und Entscheidungen besser umzugehen.


    Da haben Cappuccino und Du ja eine sehr schwere Zeit erlebt.

    Cappuccino ist insofern ein interessantes Beispiel, weil diese ganze Tortur, so höllisch sie auch gewesen sein mag, uns beide wirklich zusammengeschweißt hat.

    Vor dem Tumor war sie eher ein distanziertes Schwein, aus der Hand fressen ging an guten Tagen gerade noch, aber anfassen - never ever.

    Während dem ganzen Verbands-Drama wurde sie zunehmend zutraulich, und die restliche Zeit ihres Lebens war sie wie ein anderes Schwein - sie hat aktiv nach Aufmerksamkeit gesucht, ist von selber zu mir her gelaufen, hat sich streicheln und kraulen lassen, ist um meine Füße gewuselt etc...

    Das hat mich damals sehr darin bestärkt zu glauben, dass meine Entscheidung die richtige war. Ja, es hat sich für mich sogar so angefühlt als hätte Cini tatsächlich verstanden was da passiert ist, als wäre sie mir dankbar dafür, als würde sie ganz genau wissen, dass ich ihr geholfen und ihr Leben gerettet bzw. verlängert habe.

    Natürlich waren das wieder nur vollkommen menschliche Gedanken - aber in dem Moment hat es sich einfach gut angefühlt, daran zu glauben.

  • Das habe ich bei Miro in gewissem Umfang auch erlebt. Er war, solange er gesund gewesen war, mehr als alle anderen scheu gewesen und das auch geblieben. Er war lange so zappelig in der Hand gewesen, dass man extrem aufpassen musste. Nach vielen Päppelsitzungen konnte ich ihn jedoch frei auf meinem Schoß sitzen lassen, damit er in Ruhe kauen konnte. Ich habe ihn im Auto, im Garten und beim Tierarzt gepäppelt. Er ist also sehr viel zutraulicher und entspannter geworden durch Päppeln, Massieren u.a.

    Meine Vermutung (!) ist, dass das zum großen Teil einfach damit zusammenhängt, dass wir in solchen Phasen die Schweinchen zum Kontakt mit uns zwingen. Uns wird fast immer und überall erzählt, dass wir Meerschweinchen nur zu Untersuchungen und Behandlungen anfassen dürfen - sonst nur, wenn sie nicht weglaufen. Und die meisten werden immer weglaufen, verlieren also nie ihre Angst vor uns. Diejenigen die das Anfassen aus gesundheitlichen Gründen über sich ergehen lassen müssen, werden meisten sehr zutraulich. Vielleicht werden sie das nicht, weil sie merken, dass die Behandlung ihnen gut tut, sondern einfach weil wir sie anfassen?

    Das wäre eine wichtige Frage, die wir irgendwann ohnehin in einem gesonderten Thema besprechen sollten. Eine falsche Schlussfolgerung hier würde uns aber darin bestärken, dass das Tier die Behandlung versteht und zustimmt - obwohl es nur ein Zähmungsprozess war.

  • Das ist ein sehr interessantes und umfassendes Thema und genau diese Fragen haben mich die letzten 1-2 Jahre sehr beschäftigt, da ich viele kranke Schweinchen hatte.

    Meine geliebte Maru (auf dem Profilbild zu sehen) war schon länger chronisch krank und hat dann noch kurz darauf Leukose bekommen (alle Lymphknoten deutlich vergrößert). Ich habe mir damals zig Gedanken gemacht, recherchiert und mich total verrückt gemacht.

    Anscheinend wird da teils mit einem Chemotherapeutikum, L-Asparaginase behandelt, um den Verlauf zu verzögern. Obwohl die Tiere es ja, wie du Silke ja auch sagst, gar nicht verstehen können, wozu sie das durchmachen. Und Leukose ist ja nicht mal heilbar. Dann heißt es teilweise, um es ganz sicher zu diagnostizieren, müsse man eine Feinnadelbiopsie der Lymphknoten machen. Ich bin im Nachhinein froh, dass ich ihr beides nicht mehr zugemutet habe, und mein Tierarzt so etwas auch nicht vorgeschlagen hat. Ich habe sie einschläfern lassen, als es nicht mehr ging (und das ging recht schnell nach der Diagnose). Es hätte ihr nichts genutzt, außer noch mehr stressige Tierarztbesuche, unangenehme Spritzen und Behandlungen. Aber ich hatte damals trotzdem erst ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht "alles" gemacht habe.

    Man sollte sich meiner Meinung nach bei jeder Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeit Gedanken dazu machen, ob da der Nutzen dem Risiko und dem Schaden wirklich überwiegt. Und zwar für das Tier, nicht um seine eigene Neugier zu stillen, oder sein Gewissen zu beruhigen. Aber das ist manchmal echt schwierig, das abzuwägen. Außerdem hängt es auch sehr vom Tierarzt ab.

    Auch seine eigenen Kräfte und Kapazitäten sollte man bedenken. Es gibt auch noch anderes im Leben außer die kranken Meerschweinchen, andere Verpflichtungen die man nicht dauerhaft vernachlässigen sollte. Und sehr teure Untersuchungen wie z.B. ein CT kann sich nicht jeder leisten. Es kann auch nicht jeder regelmäßig 2 Stunden zum Spezialisten fahren.

  • Meine Vermutung (!) ist, dass das zum großen Teil einfach damit zusammenhängt, dass wir in solchen Phasen die Schweinchen zum Kontakt mit uns zwingen. Uns wird fast immer und überall erzählt, dass wir Meerschweinchen nur zu Untersuchungen und Behandlungen anfassen dürfen - sonst nur, wenn sie nicht weglaufen. Und die meisten werden immer weglaufen, verlieren also nie ihre Angst vor uns. Diejenigen die das Anfassen aus gesundheitlichen Gründen über sich ergehen lassen müssen, werden meisten sehr zutraulich. Vielleicht werden sie das nicht, weil sie merken, dass die Behandlung ihnen gut tut, sondern einfach weil wir sie anfassen?

    Ja, das habe ich mir auch schon oft gedacht.
    Es gibt sicher Schweinchen, die nach so einer Tortur noch ängstlicher und schüchterner werden, aber halt auch solche wie Cini und Miro, die sich an die "Betüddelung" gewöhnen und ihre Scheu komplett verlieren.

    Aber das sollte man wahrscheinlich niemals laut aussprechen, sonst fühlt sich am Ende noch so mancher Halter darin bestätigt, dass "Zwangskuscheln" eine prima Möglichkeit ist um die Mensch-Tier-Bindung zu stärken...


    Eine falsche Schlussfolgerung hier würde uns aber darin bestärken, dass das Tier die Behandlung versteht und zustimmt - obwohl es nur ein Zähmungsprozess war.

    Besser hätte man es echt nicht formulieren können... :thumbup:


    Außerdem hängt es auch sehr vom Tierarzt ab.

    Ja, das stimmt auch - man fragt ja im Normalfall auch immer den Tierarzt um seine professionelle Meinung, und wenn man Pech hat kann die eigene Entscheidung in eine ganz falsche Richtung gehen.
    Ich habe mir in der Vergangenheit einige kostspielige aber total unnötige Behandlungen aufschwatzen lassen, bevor ich meine Tierärztin des Vertrauens gefunden hatte. Wenn man unsicher und verzweifelt ist, verlässt man sich vielleicht zu sehr auf die Meinung eines außenstehenden Dritten.

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