Worum geht es hier?
Die meisten Meerschweinchen werden früher oder später einen fähigen Tierarzt brauchen. Am besten befasst man sich mit diesem Thema und anderen Gesundheitsfragen schon, solange die Tiere noch gesund sind. Wenn sie erst deutliche Symptome zeigen, hat man dafür oft nicht mehr genug Zeit.
Ich glaube, dass die meisten Tierärzte es gut meinen und insgesamt viel Wissen haben. Wenn man aber bedenkt, dass es in der Humanmedizin unzählige Spezialisierungen gibt und es sich immer nur um eine biologische Art handelt, ist es nicht verwunderlich, dass kein Tierarzt von der Dogge über das Kaninchen bis zum Wellensittich, Leguan und Koi alle Arten gleich gut behandeln kann. Und dabei muss er sich ja auch noch mit allen Fachgebieten auskennen: Zahnmedizin, Chirurgie, innere Medizin, Palliativ- und Schmerzbehandlung u.s.w.
Das nachfolgende schreibe ich nicht, weil ich Tierärzte oder medizinische Behandlung schlechtmachen will, sondern weil ich sie für so wichtig halte, dass unser Einsatz als Halter dabei unverzichtbar ist.
Welcher Tierarzt ist geeignet?
Um jederzeit eine gute Anlaufstelle zu haben, sollte man einen geeigneten Arzt spätestens dann ausgewählt haben, wenn das erste Meerschweinchen einzieht. Leider ist selbst ein bei Hunden oder Katzen bewährter Tierarzt nicht unbedingt auch für Meerschweinchen geeignet. Die meisten Tierärzte haben sich auf "Kleintiere" ausgerichtet. Darunter werden in erster Linie Hunde und Katzen verstanden. Eine geeignete Spezialisierung, die Meerschweinchen einschließt, würde sich auf "Heimtiere" oder "Kleinsäuger" o.a. beziehen.
Selbst eine "einfache" Kastration endet leider des öfteren mit einem Abzess oder gar dem Tod des Tieres, wenn der Tierarzt nicht viel Erfahrung mit Operationen und Narkosen bei Meerschweinchen hat. Das ist nur ein trauriges Beispiel wie sehr das Wohl unseres Tieres von der Eignung des Arztes abhängt.
Empfehlungen für Tierärzte kann man von vertrauenswürdigen erfahrenen Haltern, guten Züchtern oder ebensolchen Notstationen erbitten. Auch die Tierarztliste der AG Kleinsäuger kann man zu Rate ziehen.
Natürlich sollte der Tierarzt möglichst nahe am eigenen Wohnort praktizieren. Letztlich kann es aber durchaus sein, dass man eine halbe oder ganze Stunde oder in Spezialfällen auch noch mehr einfache Fahrtzeit in Kauf nehmen muss. Das ist besser, als zum Tierarzt um die Ecke zu gehen, wenn das Tier dort nicht richtig behandelt würde.
Wann sollte man den Tierarzt aufsuchen?
Ich halte nichts von "Vorsorgeuntersuchungen", "Gesundheits-Check-Ups" o.ä. für Meerschweinchen. Das ist bei einem gesunden Tier unnötiger Stress und viele Probleme wären bei einer anlasslosen Untersuchung ohnehin nicht erkennbar. Dazu müsste man umfangreiche Untersuchungen vornehmen wie Blutabnahme, Urintest, Röntgen von Körper und Kopf aus mehreren Richtungen, Mundraum unter Narkose untersuchen u.a. Nichts davon sollte man einem Meerschweinchen zumuten, wenn es keine Krankheitssymptome zeigt.
Andererseits kann es bei manchen Problemen zu spät sein für Hilfe, wenn man einen oder mehrere Tage zu lange wartet.
Wir als Halter sind daher gefordert, uns mit den wichtigsten Krankheiten und Problemen und ihren Symptomen soweit auszukennen, dass wir möglichst schnell merken, wenn unser Tier krank ist und einen Tierarzt braucht.
Manche Probleme erfordern sofortige Hilfe durch einen Tierarzt, andere haben bis zur nächste Sprechstunde des eigenen Tierarztes Zeit und wieder andere kann man selbst behandeln oder auf die Selbstheilung des Körpers warten. Diese Fälle richtig zu unterscheiden wird uns mit viel Erfahrung und viel Wissen über Meerschweinchen besser gelingen. Anfangs sollte man lieber einmal zuviel zum Tierarzt gehen.
Notdienst - Gefahr im Verzug
Wenn ein Tier beispielsweise stark blutet, nach Luft ringt, anhaltend krampft oder sämtliches Essen verweigert, ist ein sofortiger Tierarztbesuch wichtig. Das kann lebensrettend sein. Trotzdem sollte man dabei im Hinterkopf behalten, dass man den behandelnden Arzt dann in der Regel nicht kennt und dieser sich meistens auch nicht auf Heimtiere oder gar Nager spezialisiert hat.
Ich würde daher freundlich alles kritisch hinterfragen. Beispiele sind:
- Hört sich die Diagnose nachvollziehbar an?
- Ist das vorgeschlagene Mittel für Meerschweinchen geeignet und richtig dosiert?
- Ist eine Entfernung eines verletzten Auges wirklich nötig oder hat es gute Aussichten auf Heilung?
Von einem mir unbekannten Notarzt würde ich nur die offensichtlich richtigen und akut nötigen Behandlungen vornehmen lassen.
Tier beim Arzt lassen?
Persönlich halte ich es für unnötig belastend für das Meerschweinchen, wenn es einige Stunden vor einer Operation abgegeben oder danach dortgelassen werden soll. Auch eine stationäre Aufnahme würde ich bei den scheuen und sehr sensiblen Tieren möglichst vermeiden.
Mein Eindruck ist, dass es für die Arztpraxen praktisch ist, wenn sie die Tiere in einer Warteschlange haben und operieren oder behandeln können, wenn es für die Praxis zeitlich gut passt. Zudem verdienen sie ggf. an der stationären Aufnahme. Natürlich gibt es das Argument, dass das Tier durch die Fahrt unter Stress käme und daher ein erhöhtes Narkoserisiko hätte. Ich gehe aber nicht davon aus, dass ein Meerschweinchen, dass in einer fremden Umgebung, von seinen Freunden getrennt und ohne seinen Halter wartet, dadurch entspannter wird.
Und natürlich sollte man nicht ein noch betäubtes oder herumtorkelndes Tier mit nach Hause nehmen. Wenn die Narkose richtig gemacht wird und es keine Komplikationen gibt, ist eine Meerschweinchen ganz kurz nach der Operation wieder wach und bewegt sich nach rund 5-10 weiteren Minuten auch wieder normal. Bis dahin kann man als Halter mit dem Tier im Transportkorb in einem ruhigen Bereich warten, falls man es sehr schnell zurückbekommen haben sollte.
Vorbereitung auf den Arzttermin
Eine gute Vorbereitung ist wichtig, da man sonst relavante Punkte vergessen und damit zu einer falschen Diagnose oder Behandlung kommen könnte. Am besten schreibt man sich mindestens folgendes auf:
- Entwicklung des Gewichtes
- beobachtete Symptome
- Vorerkrankungen
- bisherige Behandlung
- Fragen an den Arzt
Wenn es zeitlich möglich ist, sollte man vor dem Arztbesuch über die Symptome nachgelesen oder sich mit erfahrenen Haltern ausgetauscht haben. Das ersetzt nicht den Arztbesuch, kann ihn aber sehr positiv beeinflussen.
Mindestens folgendes gehört für mich zur guten Ausstattung bei einem Arztbesuch:
- Liste zu o.g. Themen
- Frischfutter und evtl. Heu
- ausreichend großer Transportkorb mit Handtuch ausgelegt
- Handtuch, Kuschelrolle o.ä. zum Verstecken in dem Korb
- Ersatztücher und Beutel für verschmutzte Tücher
- Wärmeflasche o.ä. bei niedrigen Temperaturen oder sehr schwachem Tier
- evtl. Begleitschweinchen
Ob ein weiteres Schweinchen zur Begleitung sinnvoll ist, hängt von den Tieren und ihrem Verhältnis zueinander und zum Halter ab.
Den Arztbesuch optimal nutzen
Ich sage bei einem neuen Tierarzt deutlich, dass ich vor jeglicher Behandlung oder kritischen Untersuchung informiert werden will. Dann kann ich immer noch entscheiden, ob ich das für sinnvoll halte oder nicht. So würde ich z.B. eine Untersuchung der Zähne mit Maulspreizer ohne Narkose ablehnen.
Falls ein Mittel abgefüllt mitgegeben oder in der Praxis gegeben werden soll, lasse ich mir die Bezeichnung und Dosierung sagen.
Bei einer geplanten Operation spreche ich vorher die Narkoseart und Nachsorge ab.
Auch will ich das Tier soweit es nicht unbedingt anders nötig ist, selbst halten, weil das den Stress für das Tier deutlich reduziert.
Sämtliche Röntgenaufnahmen, relevante Ultraschallaufnahmen, Laborergebnisse u.ä. lasse ich mir immer zusenden. Dadurch kann ich sie bei Bedarf auch einem anderen Arzt später zeigen oder selbst mit anderen Aufnahmen vergleichen.
Wichtig ist auch, dass ein neuer Tierarzt weiß, dass man bereit ist, alle sinnvollen Untersuchungen oder Behandlungen zu bezahlen. Sonst bietet der Arzt vielleicht etwas Wichtiges nicht an, weil er Sorge wegen der Kosten hat.
Nacharbeit
Soweit man es nicht schon in der Praxis gemacht hat, sollte man sich wichtige Punkte notieren.
Falls man mit dem Thema, also der Diagnose und Behandlung, nicht ausreichend vertraut ist, sollte man darüber in Fachbüchern und verlässlichen Internetquellen nachlesen und vertrauenswürdige Halter dazu befragen.
Die Entwicklung von Gewicht, Fressverhalten, Symptomen und Sozialverhalten sollte man bis zur Heilung besonders genau verfolgen und das Wichtigste davon notieren.
Gesundes Misstrauen
... kann Leben retten!
Kein Tierarzt weiß immer die beste Lösung oder macht auch nur immer die richtige Diagnose. Natürlich versteht der Arzt viel mehr von Tiermedizin als selbst ein sehr engagierter Halter. Und nie könnte ich ein Tier operieren. Trotzdem können wir als Halter uns soviel Zeit für das Problem unseres Tieres nehmen, uns so gut mit dem spezifischen Thema auseinander setzen, dass wir helfen können, Behandlungsfehler zu vermeiden.
Im Idealfalle suchen wir mit den Tierarzt gemeinsam den besten Weg für unser Tier. Das ist etwas ganz anderes, als blind zu vertrauen und verbessert die Aussichten auf eine optimale Therapie erheblich. Ein verantwortungsbewusster, tierliebender Tierarzt wird das zu schätzen wissen. Einen anderen braucht unser Tier hoffentlich ohnehin nie.